Die Exegese des Alten Testaments und Unterrichtseinheiten der diskursiven Landeskunde als 360°-Panorama

Das Verständnis komplexer Zusammenhänge und deren Darstellung ist eine zentrale Anforderung des Studiums. Auch in den Modulen „Alttestamentliche Wissenschaft“ und „Kulturstudien II“ unserer Digital Fellows Julia Wolbergs und Laura Gonnermann der Universität Leipzig haben Studierende häufig Probleme, Einzelaspekte logisch in einem Gesamtbild zusammenzuführen. Zur Unterstützung dieser Methodenkompetenz möchten die beiden Digital Fellows eine Visualisierungstechnik in ihren Lehrveranstaltungen einführen. Die Studierenden sollen mit dem Programm Thinglink eine Art Bild-E-Portfolio führen, in dem ihr Verständnis des Lerngegenstandes kontinuierlich erweitert und in einer immersiven 360°-Umgebung erlebbar wird. Wie das funktioniert erklären sie im Interview.

Ihre Studierenden sollen komplexe Lerninhalte in Visualisierungen darstellen. Können Sie uns zunächst kurz erläutern, wie so eine Visualisierung aussehen kann?

Frau Wolbergs & Frau Gonnermann: Bei der Visualisierung der Einzelschritte zu einem Gesamtbild geht es darum, einen anderen Blickwinkel auf das Erlernte zu generieren. Wir haben in der Veranstaltung den Studierenden die Idee anhand eines Mosaiks zu erklärt: Die Einzelschritte müssen wie Bausteine zu einem Mosaik zusammengefügt werden. Das Mosaik ist das Gesamtkunstwerk, aber jeder Baustein muss vorher bearbeitet werden und seinen Ort im Mosaik finden.
Bisher haben die Studierenden ihr Wissen im Laufe des Semesters in langen Textdokumenten oder auch Tabellen gesammelt. Visualisierung in diesem Kontext meint also alles, was über das Textdokument hinausgeht. Angefangen bei einer Mindmap oder einem Padlet hin zu komplexeren Visualisierungen als 360°-Bild wie beispielsweise im Programm Thinglink. Dort lassen sich in frei verfügbaren oder selbstgestalteten 360°-Bildern Anker setzen, die dann von den Studierenden mit Inhalten gefüllt werden, um den eigenen Lernstand zu sichern.

Wieviel technisches Grundwissen erfordert die Erstellung der Visualisierungen und welche Herausforderungen haben die Studierenden damit?

Frau Wolbergs & Frau Gonnermann: Diese Frage haben wir uns selbst vor Beginn der Lehrveranstaltungen im WiSe 2021/22 gestellt und beschlossen, dass wir von wenigen Grundkenntnissen ausgehen wollen, um alle Studierenden gut abzuholen. Wir haben daher neben einem inhaltlichen Tutorium auch ein Tutorium angeboten, in dem technische Kenntnisse erworben werden konnten. Es bestand die Möglichkeit, die 360°-Kamera auszuprobieren, um die Visualisierung anschließend in einem selbstgewählten Fotomotiv vorzunehmen. Es bestand aber auch die Möglichkeit, sich reguläre Kameras auszuleihen und mit Videoschnitt vertraut zu machen. Auch bei der Aufnahme von Podcast-ähnlichen Formaten konnte unterstützt werden.
Die größte Herausforderung für die Studierenden war dann eine geeignete eigene Visualisierung für die Inhalte zu finden und anzuwenden. Das ist neben den technischen Anforderungen eher eine kreative Aufgabe gewesen.

Wie wird der Prozess des Bild-E-Portfolios durch Sie und Ihre Hilfskräfte angeleitet?

Frau Wolbergs & Frau Gonnermann: Das Bild-E-Portfolio wurde semesterbegleitend erstellt und fördert so das prozessorientierte Lernen. In den einzelnen Seminarstunden wurde jeweils Zeit eingeräumt, um über die Visualisierung, Fragen zu den vorhergehenden Methodenschritten und die technische Umsetzung zu sprechen. Die Hilfskräfte standen den Studierenden mit den beiden Tutorien zur Seite, waren aber auch sonst für die Studierenden verlässliche Ansprechpartner*innen.

Welche Rückmeldungen haben Sie zu Ihrem Konzept von Ihren Studierenden bisher erhalten?

Frau Wolbergs & Frau Gonnermann: Wir haben das neue Konzept in einer ersten Kohorte im WiSe 2021/22 erprobt und ganz unterschiedliche Rückmeldungen erhalten. Die Begeisterung neue Formate im Seminar auszuprobieren und sich an einer Visualisierung zu versuchen, haben die Studierenden geteilt. Die Studierenden wussten auch zu schätzen, dass wir uns als Lehrende für eine moderne und innovative, aber dennoch forschungsgestützte Lehre interessieren und einsetzen.
Wir haben zu Beginn des Semesters und zum Ende des Semesters quantitative Daten zur Medienkompetenz und zum Visualisierungsbedürfnis der Studierenden erhoben und abschließend ein qualitatives Gruppeninterview geführt. Diese Daten werten wir zur Zeit aus und können die Frage hoffentlich bald umfassender beantworten. Wir sehen aber bereits, dass die Studierenden angeben, dass ihnen Visualisierungen grundsätzlich beim Verstehen von Zusammenhängen helfen, aber dann nur wenige die Visualisierungen intensiv genutzt haben. Die Studierenden äußern, dass eine Einbindung in die Prüfungsleistung die Motivation erhöht hätte.

Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Studierenden? Können Sie eine Veränderung im Verständnis komplexer Zusammenhänge feststellen?

Frau Wolbergs & Frau Gonnermann: Es handelt sich im Moment eher um ein explorativ-experimentelles Setting und die kleine Kohorte von 10 Teilnehmer*innen im WiSe 2021/22 ist nur bedingt aussagekräftig. Sie hat uns jedoch gezeigt, dass es gewinnbringend ist, die Studierenden auf die Möglichkeit der Visualisierung von Lerninhalten hinzuweisen. Viele Studierende haben uns die Rückmeldung gegeben, dass sie nach einigen Semestern des Studiums bereits ihre Lernstrategien gefunden haben. Wir freuen uns über erfolgreiche Lernstrategien und möchten gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen, diese kritisch am neuen Gegenstand zu hinterfragen und möglicherweise einmal neue Wege zu beschreiten und das eigene Strategieportfolio zu erweitern.

Inwiefern können andere Lehrende ein ähnliches Szenario wie das Ihre umsetzen? Was empfehlen Sie hierfür?

Frau Wolbergs & Frau Gonnermann: Eine verstärkte Berücksichtigung von Visualisierungen macht immer dann Sinn, wenn die Lehrveranstaltung aus vielen einzelnen Aspekten besteht, die am Ende zu einem Gesamtprodukt zusammengeführt werden müssen. Oder aber, wenn die bisher noch unterschätzte Kompetenz der visual literacy verstärkt ausgebildet werden soll. Dabei ist es sicherlich wichtig, vorab zu entscheiden, ob die Visualisierung eher als eine von mehreren Strategien angeboten wird, oder aber – wie von den Studierenden in unserer Kohorte eingefordert – als ein prüfungsrelevantes E-Bild-Portfolio verstanden wird.
Wir haben uns für die Software Thinglink entschieden, für die eine Lizenz erworben werden muss. Dies ist aber auch nur eine der möglichen Softwarelösungen und wir vermuten, dass das Angebot in den nächsten Jahren wachsen wird. Um Studierende mit unterschiedlichen technischen Fähigkeiten einzubinden, ist ein unterstützendes Tutorium in jedem Fall sehr hilfreich. Wir sind dankbar, dass sowohl die Lizenz als auch die Tutorien über das Digital Fellowship finanziert werden konnten.
Wir empfehlen, sich für die Darstellung der eigenen Lerninhalte auf die Suche nach geeigneten Bildern zu begeben und die Studierenden in die Suche oder das Erstellen dieser Bilder einzubeziehen. Dieser Prozess ist sehr kreativ und nicht immer ohne Umwege zu beschreiten, aber er bringt sehr viel Spaß und bereichert die eigene Lehre.